Ich will euch noch erzählen, wie ich diese wunderbare Sache erleben durfte. Theres und ich sassen am 26. Februar, es war Mittwoch, zuhause in unserem Büro und erledigten noch verschiedenen Bürokram. Als Theres aufstand und Richtung Türe lief, nach zwei, drei Schritten aber stehen blieb und etwas wie ‘Aua’ sagte, meinte ich zu ihr: Was ist, setzen schon die Wehen ein? Es waren aber keine Wehen, es war die Fruchtblase, die geplatzt war. Der kleine Turner hat wohl zu kräftig geturnt. Er hat somit den Startschuss zu seiner Geburt selbst gegeben. Die Uhr zeigte ziemlich genau 9 Uhr abends, eine lange Nacht begann.
Theres begab sich auf die Toilette, um die Fruchtwassermenge zu ermitteln. Da es sich um eine grössere Menge handelte, Beschlossen wir, im Spital anzurufen. Vorsorglicherweise stand die Telefonnummer der Gebärabteilung ablesebereit auf einem Post-It Kleber gleich neben dem Telefonapparat. Die Hebamme am Telefon, Frau Bieri (wahrscheinlich werde ich diesen Namen nie mehr vergessen), erklärte mir, dass wir vorbeikommen sollten. Sie ermahnte mich, ruhig zu bleiben und ohne Hast nach Aarau zu fahren. Sie sagte auch, dass sie uns um ca. 10 Uhr erwarte. Therese machte sich darum, meist auf dem WC, bereit für die Fahrt ins Kantonsspital Aarau. Ich packte in der Zwischenzeit das ‘Köfferchen’. In diesem Moment und bis zur Abfahrt war ich das einzige Mal nervös, nicht richtig nervös, nur der Tatsache bewusst, dass ich in den nächsten Stunden Vater werden würde. Wie gesagt, packte ich den Koffer und heftete noch unsere Adresse an den Koffergriff. Clever wie wir waren (man kennt mich ja), hatten wir alle Kleider und sonstige Utensilien fein säuberlich bereitgestellt. Dann ging es los. Noch eine letzte Kontrolle ob alle Fenster geschlossen sind, und das Licht gelöscht ist, und dann ab die Post. Wie es Murphy wohl vorsieht, hat sich irgendein Schleicher mit seinem Auto vor uns gesetzt. Mit ca. 60 km/h fährt er Richtung Rohr, um dort innerorts auf einen Vierziger abzubremsen. Ohne die Nerven zu verlieren, erreichen wir kurz vor zehn das Spital. Natürlich fahre ich vor bis zur Tür der Frauenklinik. Mit dem Lift geht es hoch in den zweiten Stock, wo wir kurz darauf vor der Tür der Gebärabteilung stehen. Ich klingle, und unsere Frau Bieri öffnet die Tür und lässt uns eintreten.
Da wir anfangs Februar an einer Besichtigung der Gebärabteilung teilnahmen, sind wir absolut ortskundig und wissen wie der Hase läuft (oder laufen sollte). Theres wir angewiesen, sich in einem der Aufnahmeräume auf die Liege zu legen. Da Frau Bieri nur bis 11 Uhr Dienst hat, erklärt sie uns, dass sie vorerst mal den Pulsmesser für das Kind, sowie den Wehen-Messer anschliessen werde. Den Untersuch des (Gebär) Muttermunds von ihrer Kollegin um ca. 22:45 Uhr vorgenommen werde. So habe sie dann einen guten Vergleich für den weiteren Verlauf der Geburt. Theres bekam also zwei Messinstrumente um den Bauch geschnallt. Diese beiden Messinstrumente wurden an einen Schreiber angeschlossen und dieser druckte die Messwerte laufend aus. Im Verlauf der nächsten halben Stunde stellten sich die ersten Wehen ein. Im vergleich zu den Wehen die später noch folgten, waren diese Schmerzen noch Peanuts. Sie gaben uns aber die Gelegenheit, uns an die kommende Aufgabe heranzutasten. Eine Aufgabe mit Theres als Hauptdarstellerin und mir als Coach. Als Coach für die richtige Atemtechnik oder als Masseur für den geschundenen Rücken. Nach und nach traten immer mehr neue Personen in diese Geschichte ein. So zum Beispiel unsere Hebamme für die kommenden Stunden. Frau Pia Arthur, Hebamme in Ausbildung! Aber ich war ja dort und wir konnten beruhigt den weiteren Dingen, die da kamen, harren. Als erstes überprüfte die Hebamme die Öffnung des Muttermundes. Die Messgeräte wurden entfernt, Pia Arthur (im folgenden PA genannt) zog sich sterile Handschuhe an und überprüfte die Situation mit (nicht)blossen Fingern. Öffnungsgrad 2 cm. Zeit, um noch rasch aufs Klo zu gehen und für ‘kleine Mädchen’ zu machen. PA zügelte unsere Sachen in der Zwischenzeit in den Gebärsaal. Gebärsaal Nummer 3, am Ende des Gangs auf der linken Seite. Auch wir begaben uns dann dorthin. PA erklärte uns den weiteren Ablauf. Dieser sah das erneute Anschliessen der Messgeräte vor, danach eine weitere Kontrolle des Muttermundes.
Das Auswertgerät der Messinstrumente druckte die Messwerte ebenfalls aus, dazu waren die Messwerte auf 2 LED-Anzeigen direkt ablesbar. Die Pulsfrequenz des Turners betrug meistens ca. 135 – 140 Schläge, mal eine Spitze nach oben (160), selten nach unten (120). Der Wehen-Meter war aber sensationell. In einem Bereich von 0 bis ca.100 gab er die Wehen-Intensität weiter. Er war Theres immer eine Nasenlänge voraus. Das heisst, er zeigte die kommende Wehe immer eher an, als sie Theres zu spüren bekam. Auch zeigte er das Ende der Wehe schon an, während sich Theres sich immer noch gegen die Schmerzen zur Wehr setzte. Für mich bedeutete dies, dass ich meine Frau schon vor dem Wehen beginn auf das richtige Atmen einstellen konnte. Richtiges Atmen soll folgendermassen ablaufen: Durch die Nase tief und lang einatmen. Spitze Atemzüge sind zu vermeide, ja sogar zu unterlassen. Dann mit einem langen Ahhhh…, wie bei Allahhh… ausatmen. Bei jedem Ausatmen muss dabei das Kreuz nach hinten gedrückt werden. Hier komme ich dann zum Einsatz. Mit der flachen Hand stütze ich Theres im Kreuz und baue einen Gegendruck auf, beim Einatmen löse ich diesen Druck dann wieder. Da jeder unter starken Schmerzen dazu neigt, kurze und flache Atemzüge anzusetzen, musste ich jeweils auch versuchen den Atem-Rhythmus vorzugeben. Einatmen, Ahhh…, einatmen, Ahhh…, durch die Nase einatmen und Ahhh…, einatmen, usw.…. Der nachlassende Wehen-Meter zeigte jeweils an, dass wir es bald überstanden hatten. Die Wehen Pausen dauerten unterschiedlich lang. Als grober Anhaltspunkt gelten da so drei Minuten. Der Wehen-Meter zeigte in dieser Zeit meist einen Wert von 0 bis 5 an. Stieg dieser Wert an, so spürte Theres die Wehen so ab einem Wert von 30 – 35. Dies gab mir jeweils die Zeit richtig vorzuatmen. Einatmen, Ahhh…, einatmen, Ahhh… Nun, die Zeit verging und Theres begann einen Druck auf den Darm zu spüren. Begleite von Wehen machten wir uns auf den Weg zum Örtchen, um dort weitere Wehen anzutreffen. Auch auf dem Rückweg säumten sie unseren Pfad. In der Zwischenzeit hatte sich der Muttermund über 4 auf 10 cm vergrössert. Der diensthabende Arzt, Dr. Koch, meldete sich ebenfalls, so dass unser Team immer grösser wurde. PA und der Arzt verwendeten jeweils so medizinische Fachausdrücke, wie z.B. ‘Seit 10 Minuten V Lage der hinteren was auch immer’ und noch viel mehr so wirres Zeug. Und auch diese beiden konnten die Geburt nicht aufhalten und es kam, wie es kommen musste.
Die Presswehen setzten ein. Über eine, in der Zwischenzeit angelegte Infusion, wurde Theres mit wehenfördernden Mittel sowie muskelentspannenden Wundermittel versorgt. Die Presswehen schienen noch schmerzhafter zu werden, dafür wurden die Wehen Pausen ein wenig länger. Nachdem Theres die Wehen zuerst auf einem Stuhl sitzend verarbeitete, wechselte sie dann auf den Riesenballon, um schliesslich auf dem Bett die ihr am besten zusagende Position zu finden. Das Bett konnte dabei auf unzählige Arten verstellt werden. So wurde die Rückenlehne hochgestellt, für das Füdli ein Sitzbänkli geformt und eine weiter Abstufung für die Beine gebastelt. Nach den ersten Presswehen wurde der Wehen-Messer entfernt und nur noch die Herztöne des Turners überwacht. Die Sauerstoffmaske wurde bereitgestellt. Bei den letzten Wehen wurde sie dann auch zwei Mal eingesetzt, um zu vermeiden, dass der Kleine zu wenig Sauerstoff kriegen würde. Wie später Tests und Untersuche der Nabelschnur zeigten, hatte er immer hervorragende Werte. Bei jeder Presswehe musste Theres kräftig mitdrücken, mitdrücken als wäre sie auf dem Häuschen. Zum Glück konnte sie noch aufs WC gehen bevor es richtig losging, so waren die Därme fein säuberlich entleert. Mit jedem Drücken kam uns der Kleine ein Stücklein entgegen. Bald schon meldete PA, dass man bei der Wehen Spitze das Köpfchen bereits sehen könnte. Das wollte ich selbstverständlich auch sehen. Der Kleine führte mich vorerst an der Nase rum. Bei jeder Wehen Pause zog er sich wieder etwas zurück. Wie eine Schnecke das sich in sein Schneckenhaus zurückzieht. Bei der nächsten Wehe war es dann so weit und ich konnte sein Köpflein erkennen. Dabei sah ich vorerst nur ein zweifranken grosses Stück Haarbüschel. Im Pilgerschritt näherte er sich immer mehr dem Tageslicht. Zwei Schritte nach vorn, um in der nächsten Pause wieder einen Schritt zurückzutreten. Theres musste immer heftiger Pressen. Die Kraft schien sie beinahe schon zu verlassen. Den letzten Schritt schienen Theres und der Turner nicht mehr zu schaffen. Die Hebamme und der Arzt entschieden darum zusammen, einen Dammschnitt durchzuführen. Dies würde das letzte Hindernis zur Welt für den Kleinen aus dem Weg räumen. PA bereitete rasch die Spritze für die lokale Betäubung vor. Zu Beginn der nächsten Wehe setzte der Arzt die Spritze an, ohne dass Theres davon bemerkte. Ich selbst konnte in der letzten Phase der Geburt nicht mehr viel dazu tun. Das Einzige, was ich noch blieb war, … richtig: Einatmen, Ahhh…, einatmen, Ahhh... . Doktor Koch bereitete sich auf den Schnitt vor. Mit einer Schere schnitt er den Dammmuskel ca. 3 cm schräg nach unten ein. Die Spannung der Austrittsöffnung löste sich. Der kleine Turner, dessen Motörchen immer mit ca. 135 Schlägen in den Pausen und mit 110 Schlägen während den Wehen tuckerte hatte freie Bahn. Mit der nächsten Wehe steckte er flink sein Köpfchen in die Welt hinaus- Zugleich streckte er mir schon ein Händchen entgegen. Hallo Papi, ich komme. Ich konnte oder habe mich in diesem Moment noch gar keine Gedanken gemacht, ob es ein Mädchen oder ein Junge sei. Nun ging alles schnell, die nächsten Wehen kamen und das kleine Bündel glitt heraus. Noch hing es an der Nabelschnur. An einer langen grün-roten, geringelten Nabelschnur.
27. Februar 1997, 0337 Uhr. Unser kleiner Turner, Yanick Yan war geboren!
16. Mai 2000 kurz vor sechs Uhr abends. Ich bin soeben von der Arbeit zurückgekehrt und Theres kommt gerade mit der Nachbarin vom Badi-Besuch zurück. Noch auf der Heimfahrt ist Theres die
Fruchtblase geplatzt. Nun geht alles schnell. Yanick bei der Grossmutter abliefern und Fahrt ins Kantonsspital Aarau, diesmal ohne Schleicher vor uns. Ablauf wie gewohnt: Vorbereitungsraum,
Gebärsaal, Einatmen, Ahhh…, einatmen, Ahhh…, durch die Nase einatmen und Ahhh…, einatmen, usw.….
Und dann kommen die Unterschiede: Kein Haarbüschel streckt sich mir entgegen, nein, diesmal sind es kleine Füsschen. Steisslage! Aber auch das schaffen wir. Ich drücke den Füsschen ein wenig
entgegen, so dass es nicht zu schnell geht. Und trotzdem dauert es nicht allzu lange.
16. Mai 2000, 2135 Uhr, Es ist ein Mädchen! Unsere Janine Celine ist geboren!